Städte schaffen ihr eigenes Klima. Man kann sich das so vorstellen: Österreich liegt in der gemäßigten Klimazone der Nordhalbkugel. Diese beschreibt die großräumige klimatische Situation beziehungsweise die Grundcharakteristika des Klimas mit denen man zu rechnen hat. Die gemäßigte Klimazone zeichnet sich durch kalte Winter und heiße Sommer aus und weist die Übergangsjahreszeiten Frühling und Herbst auf. Lokale landschaftliche Besonderheiten, wie zum Beispiel im Fall von Linz die ausgeprägte Beckenlage, bewirken bereits gewisse Veränderungen dieser Grundsituation. Dann drückt noch die Art wie Städte beschaffen sind (Form, Dichte der Bebauung, verwendete Materialien, Oberflächenversiegelung, Durchgrünung) der Grundsituation einen eigenen Stempel auf. Letzteres ist etwas, das man intuitiv zumindest in heißen drückenden Sommern ohnehin vermutet, erstmals systematisch beschrieben wurde es aber tatsächlich bereits 1833 von Luke Howard am Beispiel von London. Diese Arbeit wird übrigens oft als die Geburtsstunde der Stadtklimatologie genannt.
Nicht Klima, sondern Wetter spüren wir
Was die Intuition betrifft, muss man hier allerdings auch ein wenig vorsichtig sein, denn was wir direkt fühlen und erfahren können, ist nicht das Klima, sondern in erster Linie das Wetter in seinen ständig wechselnden Spielarten. Um das Klima direkt zu erspüren, haben wir kein Organ, wenngleich wir uns vielleicht erinnern, dass früher die Sommer weniger heiß waren. Städte beeinflussen auch die Witterung und unser Empfinden derselben, man denke an die Tage im Winter, in denen es auf umliegenden Hügeln oder in höher gelegenen Bezirken schneit, während im Stadtzentrum nur mehr Regen ankommt.
Unter Linzerinnen und Linzern ist in dieser Jahreszeit der Fußweg über die Nibelungenbrücke geradezu berüchtigt – vom fast windstillen Hauptplatz wird man wenige Meter weiter auf der Brücke mitunter von einem kräftigen und eisigen Wind erfasst. Gelände und Gebäude führen hier zu einem extremen Gegensatz innerhalb nur weniger Meter. Im Sommer bewirkt der städtische Einfluss hingegen eher, dass man die Zeit lieber am schattigen Ufer eines Sees außerhalb der Stadt verbringt als in der drückenden Hitze mancher Plätze und Straßen.
All diese kurzfristigen Wettereigenheiten schlagen sich natürlich auch im langfristigen Klima der Stadt nieder. Zum Beispiel ist in Städten die Anzahl der Tage im Jahr, an denen die Höchsttemperatur 30 Grad überschreitet (Hitzetage), oder aber auch die Zahl der Nächte, wo die Tiefsttemperatur nicht unter 20 Grad fällt (Tropennächte) höher als im Umland. Sogar die Vegetationsperiode beginnt im Jahreslauf in der Stadt früher und endet später. Während in Linz schon die ersten Knospen sprießen, kann dies im oberen Mühlviertel mitunter noch ein paar Tage dauern.
Eigenheiten städtischen Klimas
Was die Stadtklimatologie nun macht, ist, sich damit zu befassen, wie solche Eigenheiten des städtischen Klimas zustande kommen und welchen Einfluss eine Stadt auf die darüber liegende Atmosphäre hat. Sie versucht, die verschiedenen Einflüsse und Wechselwirkungen zwischen Stadt, Umland und Atmosphäre zu verstehen und daraus unter anderem abzuleiten, wie negative Einflüsse bereits bei der Stadtplanung oder in der Planungsphase von Bau- und Infrastrukturprojekten reduziert werden können. Auch Prognosen für die zukünftige Entwicklung des Stadtklimas gewinnen hier, nicht zuletzt wegen des menschengemachten Klimawandels, immer mehr an Bedeutung. Kurz gesagt: Nur wenn man versteht, was genau vor sich geht, kann man gezielt und effizient an Verbesserungen arbeiten.
Das Klima in Städten ist dabei durchaus ein Untersuchungsgebiet von eminent praktischer Bedeutung, betrifft es doch einen großen Teil der Erdbevölkerung. Obwohl es verschiedene Definitionen gibt, was unter „städtisch“ oder „nicht städtisch“ verstanden wird, zeigt sich insgesamt dennoch ein klares Bild: Bereits 2015 lebte deutlich mehr als die Hälfte der Erdbevölkerung in städtischen Gebieten, im Speziellen gilt dies auch für Österreich. In Zukunft dürfte sich daran nichts ändern, zeigen doch bisherige Prognosen der Uno einen weiteren Anstieg der Stadtbevölkerung.
Die Eigenheiten des städtischen Klimas stellen deren Bewohnerinnen und Bewohner nun mitunter vor Probleme, die durch den von Menschen verursachten und noch immer munter befeuerten Klimawandel weiter verschärft werden. Die Hitzebelastung in Städten steigt, feststellbar durch im Verlauf der Zeit zunehmenden Temperaturen oder beispielsweise über die immer höher werdende Zahl von Hitzetagen oder Tropennächten. Aber auch ein vermehrtes Auftreten von immer länger werdenden Hitzewellen macht sich bemerkbar und belastet die Gesundheit.
Auch wenn für viele der letzte Sommer (in der Meteorologie auf der Nordhalbkugel gemeinhin als die Monate Juni, Juli und August definiert) einen gegenteiligen Eindruck erweckte – auch dieser war durchwegs zu warm. Dies lässt sich zum Beispiel mit dem Klimamonitoring-Tool der Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik (ZAMG) gut darstellen und zeigt sich nicht nur im Flächenmittel für Österreich, sondern auch für die Landeshauptstädte. Von diesen mit der Temperatur zusammenhängenden Phänomenen belasten speziell tropische Nächte den menschlichen Organismus, wird doch die Erholsamkeit des Schlafs stark reduziert.
Hinzu kommen noch steigende Gefahren durch extreme Witterung, wie zum Beispiel Starkregenereignisse. Sofern der Boden nicht zu trocken ist, findet das abgeregnete Wasser im Umland einer Stadt gute Bedingungen vor, um zu versickern. Auf den mit Asphalt oder Beton versiegelten, oder anders gesagt, „zubetonierten“, städtischen Flächen ist dies nicht der Fall und es werden mitunter die Abwasseranlagen überlastet. Wie das dann enden kann, zeigt ein erschreckendes Video aus Wien aus dem Jahr 2010.
Das Klima und die Stadt
Weitere Aspekte, die in der Stadtklimatologie Berücksichtigung finden, sind die Auswirkungen von Gebäuden auf die Windverhältnisse im Stadtgebiet – Verstärkungen aber auch Abschwächungen sind möglich, beides mit potenziell negativen Auswirkungen auf den Windkomfort in der Umgebung. Um dies einschätzen zu können werden für größere Bauprojekte Detailstudien durchgeführt. Zu einer abendlichen oder nächtlichen Abkühlung im Sommer können schließlich noch sogenannte Kaltluftentstehungsgebiete, wie zum Beispiel der Haselgraben in Linz, beitragen. Wie der Name bereits suggeriert, kühlt dort Luft schneller ab als in der Stadt und wird durch das topographische Gefälle in diese geleitet. Ganz eng mit der Durchlüftung einer Stadt verknüpft sind auch Fragestellungen im Hinblick auf die Luftqualität, finden sich doch gerade im städtischen Gebiet zahlreiche Emittenten von Schadstoffen.
In all diesen Fällen kommt der Stadtklimatologie eine bedeutsame praktische Rolle zu. Sie soll Antworten darauf liefern, was die erwartbaren Folgen von Eingriffen im Stadtgebiet sind und ob es Möglichkeiten gibt, negative Folgen zu neutralisieren oder abzufedern. Eine weitere Herausforderung stellt der menschengemachte Klimawandel dar. Wie genau wird er sich in einer bestimmte Stadt auswirken? Welche Risiken werden in Zukunft in welchem Ausmaß und an welcher Stelle zunehmen? Welche Anpassungsmaßnahmen können/müssen im städtischen Bereich in welcher Form eingesetzt werden, um die bereits unabwendbaren Folgen so effektiv wie möglich zu lindern? Alles in allem ist die Stadtklimatologie also ein weites Feld, welches angesichts des Klimawandels mit einer Vielzahl an direkt mit dem Lebensalltag vieler Menschen verwobenen Fragestellungen weiter an Bedeutung gewonnen hat.
Dieser Blogpost ist ursprünglich im Rahmen des Stadtklimablogs auf derstandard.at erschienen. Dort schreibt Johannes Horak zu diesem Thema als Stadtklimatologe der Stadt Linz.