Wie funktioniert Wissenschaft

Newton - Mathematics - Early works to 1800. (Cambridge University Library) unter (CC BY-NC 3.0)
Newton - Mathematics - Early works to 1800. | Cambridge University Library unter CC BY-NC 3.0

Fehler passieren. Das ist, wenn man wissenschaftlich arbeitet, ein Faktum und ein Umstand mit dem man tagtäglich konfrontiert ist. Sie passieren einem selbst, und auch anderen. In diesem Blog vermerke ich durchgeführte Korrekturen oder Änderungen am Artikel normalerweise am Artikelanfang oder -ende mit einer Überblicksliste. Aber auch in fertigen und veröffentlichten Publikationen können sie selbst mit dem üblichen Peer Review nicht vollständig ausgeschlossen werden. Aber wie kann Wissenschaft überhaupt funktionieren wenn doch Fehler immer und überall passieren? Das werden wir uns hier – aus persönlichem Anlass – genauer ansehen.

Shit happens

Ein halbes Jahr Arbeit

Seit etwa Dezember letzten Jahres arbeitete ich an der ersten Publikation im Rahmen meines Doktoratsstudiums. Die relevanten Daten waren aus den umfangreichen Simulationen extrahiert, aufbereitetet und analysiert. Das ganze hatte ich dann in den Entwurf eines Papers destilliert. Diesen haben wir intern mehrfach diskutiert, adaptiert und die Argumente fein geschliffen. Alles in allem etwa sechs Monate Arbeit die sich in einer etwa 29 Seiten starken wissenschaftlichen Arbeit manifestierten, nicht mit gerechnet die Zeit die nötig war um die relevanten Analysetools zu programmieren und sich die zugrunde liegende Theorie anzueignen.

Ein sehr weit fortgeschrittener fehlerhafter Entwurf einer Publikation

Kurz gesagt – ich habe herausgefunden, dass ein selbstgeschriebenes Programm einen Fehler hatte der beim keinem Test auffiel und die zugrundeliegenden Daten teilweise ungültig sind. Eine Überarbeitung steht an. Aber wie ist das, mit Fehlern und der Wissenschaft?

Fehler und Wissenschaft

Die philosophische Grundlage der Wissenschaften liegt in der Erkenntnistheorie, und dort gibt es ein ganz grundlegendes Prinzip.

Errare humanum est – Irren ist menschlich

Das kommt uns doch bekannt vor. Aber: Wenn der Mensch nun grundsätzlich fehlbar ist, wie kann er dann überhaupt jemals über etwas Erkenntnis erlangen? Muss man sich nicht Sorgen machen ewig im Dunkeln zu tappen? Faktum ist, dass man sich des Wissens das man angehäuft hat nie zu hundert Prozent sicher sein kann (wobei ich jetzt die Diskussion darüber, was Wissen eigentlich ist hier nicht anstreifen möchte). Heißt das nun, dass man im Umkehrschluss gar nichts weiß? Nein, die Wahrheit liegt irgendwo in der Mitte.

Wie kann man Erkenntnis gewinnen?

Stellen wir eine kleine Hypothese auf. Sie besagt „Alle Schwäne sind weiß“. Wir könnten denken, dass wir diese Hypothese nun beweisen müssten. Also machen wir uns auf die Suche und an einem nahegelegenem Teich finden wir einen Schwan und er ist weiß. Ist unsere Hypothese korrekt? Wir haben doch gerade den Beweis dafür gefunden!

Die Antwort ist nein. Tatsächlich lässt sich im Leben, abgesehen von Formalwissenschaften wie der Mathematik, nichts beweisen. Für immer größere Teilchen werden deren Welleneigenschaften nachgewiesen. Ein Beweis für die Korrektheit der Quantenmechanik? Nein. Sind Gravitationswellen die von LIGO detektiert wurden ein Beweis für die allgemeine Relativitätstheorie? Mitnichten. Das klingt nun etwas dramatisch, warum kommt diesen Theorien dann so eine Bedeutung zu? Warum soll man überhaupt Experimente machen wenn man doch eh nix damit erreicht? Nun, wir arbeiten uns gerade dorthin vor, wo der entscheidende Unterschied liegt.

Kommen wir zurück zu unserer Hypothese über die Farbe von Schwänen. Wären wir anstatt zum nächstgelegenen Teich in ein Flugzeug gestiegen und nach Australien oder Neuseeland geflogen hätten wir eine Überraschung erlebt. Dort gibt es schwarze Schwäne. Die weißen Schwäne am Teich daheim haben uns also ein trügerisches Gefühl der Sicherheit gegeben obwohl wir uns doch so sicher waren, dass unsere Hypothese nun bewiesen sei. Tatsächlich kann man aus der Bestätigung einer Hypothese niemals Gewissheit darüber erlangen, dass diese korrekt ist. Sicherheit gibt es immer nur bei ihrer Widerlegung, und zwar darüber, dass sie nicht korrekt war.

Von der Hypothese zur Theorie

Angenommen, bevor wir nach Australien gereist wären, hätten wir ganz Europa bereist, und auch noch Nordamerika. Dabei haben wir gezielt Schwäne gesucht, beobachtet und all dies ausführlich mit einem Foto, Zeit, Ort und deren Anzahl dokumentiert. Nirgends haben wir einen Schwarzen entdeckt. Tatsächlich haben wir nach all diesen Mühen guten Grund uns in unserer Hypothese bestätigt zu fühlen.

Eintrag 257, Freiburg im Breisgau, 5. Mai 2014: 5 weiße Schwäne beobachtet.

Also nehmen wir am jährlichen Schwankongress teil wo sich Schwanexperten der nördlichen Hemisphäre treffen und austauschen. Mit unserer Dokumentation schaffen wir es alle davon zu überzeugen, dass an unserer Hypothese etwas dran sei, die Beweislast ist nahezu erdrückend! Im Anschluss an den Kongress machen sich einige weitere Schwanenforscher auf eine Reise durch die Länder der Nordhalbkugel und testen unsere Hypothese ohne einen Widerspruch zu finden. Unsere Hypothese ist nun gefestigt genug, dass sie zu einer Theorie wird. Während in der Alltagssprache jede Idee gleich als Theorie durchgeht, ist der Begriff in einer Wissenschaft schon so etwas wie eine Auszeichnung. Man kann sichs als Abzeichen vorstellen, das eine Hypothese umgehängt wird wo drauf steht „Erhebung in den Status einer Theorie aufgrund einer großen Anzahl an Bestätigungen“. Das ist der Grund, warum Quantenmechanik und Relativitätstheorie den Status einer Theorie haben. Unzählige Experimente wurden durchgeführt die beide bestätigen, beide gehören zu den am besten abgesicherten Theorien unserer Zeit. Aber all diese Experimente sind kein Beweis dafür, dass die Theorien richtig sind. Im Gegenteil, es ist bereits absehbar, dass es einer neuen Theorie bedarf um einige Phänomene erklären zu können.

Das Experiment

Die am besten bestätigte Theorie kann von der Wirklichkeit zu Fall gebracht werden. Im Fall der Schwan-Theorie spätestens mit einer Reise nach Australien. Alles steht und fällt damit, ob sich die Vorhersagen mit den Ergebnissen eines Experimentes decken. Das Experiment ist die Frage an die Natur – ist es nun so wie wir denken? Oder ist es doch ganz anders..

Das bedeutet nun nicht, dass eine bereits etablierte Theorie plötzlich komplett falsch wäre wenn sie nun durch ein Experiment wiederlegt würde. Immerhin kommt man mit der Weiße Schwäne Theorie auf der nördlichen Hemisphäre sehr weit! Würde man mit jemandem darum wetten, welche Farbe die Schwäne am Badeteich haben den man erstmals besucht, würde man natürlich darauf zurückgreifen. Wir sind auf der nördlichen Hemisphäre, unsere weiße Schwäne Theorie ist hier eine gute Annäherung an die Wirklichkeit.

Werden Theorien ungültig?

Theorien werden also nicht einfach ungültig – es wird, wenn man sie widerlegt, nur klarer wo ihr Gültigkeitsbereich endet. Als Einstein seine Relativitätstheorie formulierte wurden nicht plötzlich alle Berechnungen falsch die mit der Mechanik von Newton durchgeführt wurden. Auch rechneten nicht plötzlich alle Wissenschafter alles nur mehr relativistisch. Kein Mensch bemüht die Relativitätstheorie um zu berechnen wie lange eine Reise zwischen zwei Ländern bei gegebener Geschwindigkeit dauern wird. Man könnte und das Ergebnis wäre exakter, aber die gewonnene Genauigkeit liegt in einem Bereich der für praktische Belange bedeutungslos ist. Anders ist dies, wenn sich etwas so schnell bewegt, dass die Abweichungen zwischen dem was Newton voraussagt und dem was Einstein voraussagt groß genug werden – wie zum Beispiel im Fall von Myonen. Was die Relativitätstheorie aber leisten muss, bzw. jede neue Theorie die mehr erklären will als eine alte, ist, dass sie alles was Newton bereits erklären konnte ebenfalls erklärt, aber darüber hinaus auch noch bislang unerklärbare Phänomene. Es reicht also nicht einfach die zuvor erwähnte Beobachtung von Myonen in Bodennähe erklären zu können aber dann daran zu scheitern zu berechnen wie lange ein Stein braucht bis er von 5m Höhe fallen gelassen auf den Boden landet.

Also: nur weil eine Theorie widerlegt wurde, oder absehbar ist, dass sie nicht alle Phänomene erklären kann bedeutet das nicht, dass damit in dem Rahmen wo sie gültig ist plötzlich nicht mehr gerechnet werden könnte. Man kann das sogar mit gutem Grund machen, immerhin gibt es in diesem Gültigkeitsbereich viele Bestätigungen, dass man sich auf stabilem Fundament bewegt.

Wissenschaft lernt aus Fehlern

Letztlich läuft sich alles darauf hinaus: Fehler in der Wissenschaft passieren. Seien es absolut banale Dinge wie jener der mir passiert ist, oder tatsächlich relevante und weitreichendere. Da wäre zum Beispiel die Annahme von Newton, dass die Raumzeit die unveränderliche Bühne ist auf der alles im Universum geschieht. Einstein hat später erkannt, dass die Bühne genauso wandelbar und Teil des Geschehens ist und nicht unabhängig davon gesehen werden kann. Das schmälert auch die Leistung Newtons nicht, dessen Mechanik mit einem Streich das Fallen eines Apfels vom Ast genauso erklären konnte wie die Bahnen der Planeten um die Sonne. Besonderheiten in der Bahn des Merkurs allerdings deuteten erste Abweichungen an für die tatsächlich erst die allgemeine Relavitätstheorie Gründe angeben konnte. Früher oder später werden jedenfalls Beobachtungen und Experimente durchgeführt deren Ergebnisse nicht zu dem passen, was man aufgrund der Theorie erwarten könnte. Dann wird es interessant, denn dann ist das ein Anzeichen, dass da etwas Neues, vielleicht noch gänzlich unentdecktes schlummert. Und so funktioniert, knapp zusammengefasst, Wissenschaft: Sie lernt aus ihren Fehlern.

Lesetipp

Eine zum Thema passende Artikelserie von Florian Freistetter auf derstandard.at: Hier irrte die Wissenschaft

Johannes Horak
Johannes Horak hat sein Physikstudium an der Universität Wien mit Schwerpunkt Quantennanophysik abgeschlossen. Anschließend arbeitete er als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Fraunhofer Ernst-Mach-Institut auf dem Gebiet der Laser-Materie Wechselwirkung. Von Dezember 2015 bis Juni 2020 war er an der Universität Innsbruck tätig und beschäftigte sich mit der feineren Auflösung von globalen Klimamodellen in Gletscherregionen. Beginnend mit Juni 2020 arbeitet er für die Stadt Linz als Stadtklimatologe.

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