Materiewellen sind nicht unbedingt intuitiv – wie soll sich etwas das man sich bislang immer als festes Teilchen vorgestellt hat wie eine Welle verhalten? In diesem Artikel sehen wir uns die Geschichte hinter Materiewellen etwas genauer an, von ihrer Hypothese bis hin zu Experimenten die an die Grenzen dessen gehen, was sich mit heutiger Technik realisieren lässt. Im Folgenden wird es auch einige Formeln zu sehen geben, diese sind aber als Zusatzinformation gedacht und nicht nötig um dem Rest des Textes folgen zu können.
Eine Geschichte von Materiewellen
Plancks Quantisierungshypothese
Wir starten mit unserer Geschichte im ersten Viertel des 20. Jahrhunderts. Zu dieser Zeit gelang es Max Planck das Problem der Schwarzkörperstrahlung zu lösen (Planck 1901) und das nach ihm benannte Plancksche Strahlungsgesetz zu begründen. Es gibt an welche Leistung pro Fläche ein Körper bei einer bestimmten Temperatur in Form von Strahlung in einen bestimmten Abschnitt des Raumes pro Wellenlänge abgibt, ein paar mehr Details dazu finden sich in den Artikeln über Infrarotkameras.
Was hat das nun aber mit Materiewellen zu tun? Nun, damit sein Gesetz korrekte Vorhersagen machte musste Planck annehmen, dass Energie durch Strahlung nicht in beliebigen Portionen übertragen werden kann. Also nahm er an, dass es eine kleinstmögliche Energieeinheit gibt, ein Energiequantum sozusagen, welches ausgetauscht werden kann. Die Größe dieses Minimalpakets, bzw. die Energie eines solchen Quants, ist gegeben durch die Gleichung
\[ E = h \nu \]
wobei $E$ die Energie bezeichnet, $h$ das Plancksche Wirkungsquantum und $\nu$ (gesprochen „Nü“) die Frequenz. Allerdings, so schrieb Planck, empfand er diese Lösung „nur“ als eine Art Rechentrick (Planck 1931) um zu einer korrekten Vorhersage zu kommen.
Das war eine rein formale Annahme, und ich dachte mir nicht viel dabei, sondern eben nur das, dass ich unter allen Umständen, koste es was es wolle, ein positives Resultat herbeiführen musste
Max Planck, 1931
Rechentricks oder formale Annahmen sind grundsätzlich nichts schlechtes, aber sie sind eben etwas anderes als wie wenn man die physikalische Konsequenzen einer Gleichung ernst nimmt. Der Erste der dies tat war vier Jahre später niemand anderer als Albert Einstein.
Eine Annahme über die Welt als Inspiration
Einstein beschrieb 1905 mit Hilfe der Planckschen Quantisierungshypothese den photoelektrischen Effekt. Um dieses Phänomen adäquat erklären zu können, so fand er, war es nötig Licht, anstatt wie bisher als Welle, nun als Teilchen zu beschreiben. Der große Unterschied zu Planck: Einstein dachte von Licht tatsächlich als aus Energiepaketen bestehend – auch bekannt als Photonen. Kein Rechenkunststück mehr sondern eine Annahme über die Welt. Seine erfolgreiche Erklärung der Beobachtung brachte ihm 16 Jahre später den Nobelpreis ein.
Diese Idee fiel bei einem Franzosen namens Louis de Broglie (Aussprache) auf fruchtbaren Boden. Er stellte kühn die umgekehrte Frage – wenn wir Licht als Teilchen beschreiben können – können wir dann vielleicht auch Teilchen als Wellen betrachten? Gesagt getan. Seine These:
The quantum relation, energy = h x frequency, leads one to associate a periodical phenomenon with any isolated portion of matter or energy.
Louis de Broglie, 1923
Frei übersetzt: Die Quantenbeziehung, Energie = h x Frequenz, verleitet einen dazu jedes isolierte Stück Materie oder Energie mit einem periodischen Phänomen zu assoziieren. Oder etwas pointierter: Warum nicht einer Energie, selbst wenn es die eines Teilchen ist, mit dieser Gleichung eine Frequenz zuordnen? Nach einigen kurzen Überlegungen lässt sich so die sogenannte de Broglie Wellenlänge angeben – jene Wellenlänge die einem Teilchen mit Impuls $p$ zugeordnet werden kann.
[expand title=“Herleitung de Broglie Wellenlänge“]
Aus der relativistischen Energiegleichung lässt sich herleiten, wie Impuls und Energie eines Photons zueinander in Relation stehen:
\[ E = p c \]
Gleichsetzen der letzten beiden Gleichungen ergibt
\[ \nu = \frac{p c}{h} \]
oder, in bekannterer Form zumeist als Wellenlänge angegeben
[/expand]
\[ \lambda_{dB} = \frac{h}{p} \]
Eines ist aus dieser Gleichung sofort ersichtlich. Da der Impuls im Nenner des Bruches auf der rechten Seite steht ist die Wellenlänge eines Teilchens um so kleiner je größer die Masse oder Geschwindigkeit des Teilchens ist.
So weit so gut – wir haben nun eine Möglichkeit gefunden um jedem bewegten Teilchen eine Wellenlänge zuzuordnen.
Das Verhalten von Materiewellen
Aber noch können wir damit nicht wirklich etwas beschreiben, uns fehlt eine Gleichung die angibt wie sich ein solches Teilchen verhält. Ohne das Verhalten beschreiben zu können, können wir keine Vorhersagen machen die sich anschließend in Experimenten prüfen ließen. Man könnte natürlich annehmen, dass sich Materiewellen ähnlich wie elektromagnetische Wellen verhalten könnten – aber eigentlich weiß man das nicht genau.
Nur drei Jahre nach de Broglies mutigem Schritt postulierte schließlich Erwin Schrödinger, auch bekannt für Schrödingers Katze, eine heute nach ihm benannte Gleichung – die Schrödingergleichung:
\[ i\hbar \frac{\partial}{\partial t} \Psi(x,t)= H\Psi(x,t)\]
mit $i$ als Imaginärer Zahl, $\hbar$ dem Planck’schen Wirkungsquantum durch $2 \pi$ dividiert, der Wellenfunktion des Teilchens $\Psi$ (gesprochen Psi), dem Hamilton Operator $H$ und Zeit und Ort $t$ bzw. $x$. Diese Gleichung sagt uns wie sich eine Wellenfunktion mit der Zeit verändert – genauer haben wir uns bereits im Artikel über Schrödingers Katze damit beschäftigt.
Damit haben wir an sich die Zutaten zusammen, jedoch gibt es noch eine Analogie zur Wellenoptik die wir uns zu Nutze machen können. Die Wellenoptik beschäftigt sich nämlich damit, wie sich elektromagnetische Wellen, als welche auch Licht beschrieben werden kann, ausbreiten. Die für uns nun relevante Gleichung ist hierbei die Helmholtz Gleichung und sie beschreibt wie sich eine elektromagnetische Welle welche sich durch ein Medium (zum Beispiel Glas) bewegt verhält:
\[ (\nabla^2 + k^2 n(\vec{r})^2)\phi(\vec{r}) = 0 \]
Dabei ist $\nabla$ ein Operator der Ortsableitung bezeichnet, $n(\vec{r})$ der ortsabhängige Brechungsindex des Mediums, $k$ die Wellenzahl und $\phi$ (gesprochen Phi) die elektromagnetische Welle.
Wenn nun $k$ und $n$ auf bestimmte Art und Weise definiert werden, so nimmt die Helmholtz Gleichung die Form der Schrödingergleichung an. Das bedeutet für uns: Materiewellen können mit einem bereits bekanntem Formalismus beschrieben werden. Um deren Verhalten verstehen zu können konnte also bereits auf entwickelte Methoden zurückgegriffen werden.
[expand title=“Setzen der Variablen“]
\[ k = \sqrt{2 m E}/\hbar \]
\[ n(\vec{r}) = \sqrt{1-V(\vec{r})-E} \]
[/expand]
Die ersten Experimente
Es ist nun 1927 – kaum ein Jahr ist vergangen bevor erste experimentelle Befunde diese revolutionäre Sichtweise auf Materie bestätigen (Thomson 1927 und Davisson 1927). In zwei unabhängigen Experimenten feuerten sie Elektronen auf dünne Metallfilme bzw. einen Nickelkristall. In beiden Fällen zeigt sich wellenartiges Verhalten. Die Elektronen verhalten sich nicht einfach wie Teilchen sondern werden durch die Kristallstruktur wie an einem feinen Gitter gebeugt.
Wie kam man aber gerade darauf, dies mit Kristallstrukturen zu versuchen? Dazu muss man ein paar Jahre zurückgehen, zu einer Zeit als noch nicht einmal ganz klar war, was Röntgenstrahlung eigentlich genau ist. In diesem Umfeld verfolgte Max von Laue die Idee, Röntgenstrahlung an einem Kristall zu beugen – wobei die genaue Herangehensweise Gegenstand von Diskussionen ist – siehe Eckert, 2012. Die Inspiration kam jedenfalls nicht von ungefähr, die Struktur von Metallen und Kristallen ist im Kleinen sehr regelmäßig – sie sind aus sogenannten Elementarzellen aufgebaut. Ein Abbild einer solchen Elementarzelle (genauer gesagt eine kubisch-raumzentrierte) steht übrigens in Brüssel herum und wird als Atomium bezeichnet (Siehe Bild).
Ein Metallkristall kann nun zum Beispiel aus solchen regelmäßigen Elementarzellen zusammengesetzt sein. Jede Kugel repräsentiert dabei – je nach Kristall – entweder ein Atom, Ion oder ein Molekül, die Verbindungsstäbe haben an sich keine Bedeutung. Würde nun Röntgenstrahlung auf ein solches regelmäßiges dreidimensionales Gitter auftreffen – so mutmaßte von Laue – würden die an den Kugeln reflektierten Strahlen miteinander interferieren können da die Abstände zwischen den Kugeln in etwa der Wellenlänge von Röntgenstrahlung entsprechen! Zur Erinnerung: Im elektromagnetischen Spektrum bezeichnet man Strahlung im Bereich von wenigen Pikometern bis zu etwa $250\,\text{pm}$ als Röntgenstrahlung, wobei die Grenzen nicht ganz so scharf festgelegt sind.
Max von Laues Vermutung hat sich letztlich im Experiment bestätigt und so erhielt er schließlich 1914 den Nobelpreis.
Um wieder zurück zu den Materiewellen zu kommen können wir uns überlegen welche Wellenlänge Elektronen hätten, die durch eine Spannung von $25\,\text{kV}$ beschleunigt werden an. Dazu benötigt man – als Zutat – die relativistische Energiegleichung um den Impuls berechnen zu können. Man findet, dass
\[ \lambda_{dB} \approx 7.66\,\text{pm} \]
Man würde nun von Experimenten mit Elektronen die auf Kristallstrukturen treffen also ähnliche Ergebnisse erwarten wie mit Röntgenstrahlen vergleichbarer Wellenlänge – und genau dies war der Fall (Thomson 1927). Die Welleneigenschaften von Materie konnten also erstmals mit Elektronen demonstriert werden. Eine geradezu revolutionäre Erkenntnis!
Doch würde man Welleneigenschaften auch bei größeren Objekten als Elektronen feststellen können? Die Antwort ist – vorweggenommen – ja, und wir werden uns der weiteren Entwicklung in einem Folgeartikel widmen.
Literatur
Planck, Max. „Ueber das Gesetz der Energieverteilung im Normalspectrum.“ Annalen der physik 309.3 (1901): 553-563.
Planck, Max. „Brief an Robert Williams Wood von 1931.“ Wiedergegeben in „Frühgeschichte der Quantentheorie“, S. 31, von A. Hermann, Physik Verlag, Mosbach, 1969
De Broglie, Louis. „Waves and quanta.“ Nature 112.2815 (1923): 540-540.
Davisson, Clinton, and Lester H. Germer. „Diffraction of electrons by a crystal of nickel.“ Physical review 30.6 (1927): 705.
Thomson, G. P. „The diffraction of cathode rays by thin films of platinum.“ Nature 120.802 (1927): 600-9.
Eckert, Michael. „Disputed discovery: the beginnings of X-ray diffraction in crystals in 1912 and its repercussions.“ Acta Crystallographica Section A: Foundations of Crystallography 68.1 (2012): 30-39
klar und schön erzählt. Danke 🙂