Beschäftigt man sich etwas mit Klimatologie und Klimamodellierung, so ist man immer auf der Suche nach Daten die einem einerseits Aufschluss über die vergangene Klimaentwicklung geben, und die man andererseits verwenden kann, um seine Modelle zu überprüfen. Am bekanntesten sind dabei vermutlich Eiskernbohrungen, aber auch Weinerntedaten können uns wichtige Informationen über den Zustand der Atmosphäre, oder genauer, über die Temperaturen zu vergangenen Zeiten verraten. Wie das geht, was dabei rauskommt und was einem die Ergebnisse verraten (oder auch nicht) das gibt’s hier zu lesen, basierend auf einem Paper von Meier et al. (2007).
Warum geht das überhaupt?
Man kann sich eine Weintraube nicht direkt als Thermometer vorstellen. Eine bessere Analogie ist vielleicht ein Glas Wasser. Dieses ist Anfangs leer und wird im Verlauf des Jahres gefüllt. Wie schnell es gefüllt wird hängt quasi von den vorherrschenden Temperaturen ab, und ist das Glas dann voll, ist die Traube reif zur Ernte. Ein wärmeres Klima führt nun dazu, dass diese Erntereife früher erreicht wird, wohingegen ein kühleres Klima eine spätere Ernte erforderlich macht.
Allerdings tragen nicht alle Monate in gleichem Maße dazu bei, es stellt sich heraus, dass die Temperaturen von April bis August für die Entwicklung der Traube den größten Einfluss haben: Das Traubenwachstum, und somit der Großteil des klimatischen Einflusses, finden vor Juli bzw. August statt, anschließend beginnt die Akkumulation von Zucker und eine Farbänderung setzt ein. Den deutlichste Beitrag scheint der Monat Juni zu liefern – Schleip et al. (2008) haben sich das sehr genau angesehen.
Wir können mit dieser Methode also nicht die Temperaturen über das ganze Jahr rekonstruieren, aber über Spätfrühling bis Sommermitte können wir damit eine Aussage machen!
Was man benötigt
Damit die Methode anwendbar ist, benötigt man ein paar Zutaten. Zunächst muss natürlich jemand die Erntedaten mitgeschrieben haben – dies ist, glücklicherweise, in einigen Gebieten mit langer Weinbautradition der Fall. In der Schweiz und in Frankreich gibt es zB. seit 1480 darüber Aufzeichnungen. Nicht immer ganz lückenfrei, aber über lange Phasen durchgehend – genug um diese verwenden zu können. Diese Erntedaten übersetzt man schließlich in eine Zahl – den Tag des Jahres. Im Mittel war dies übrigens der 12. Oktober – oder – der 285. Tag des Jahres. Das führt zu einer fast 600 Jahre zurückreichenden Zeitserie in der jedem Jahr der Ernteta zugeordnet ist.
Dann ist es aufgrund des verwendeten statistischen Ansatzes nötig, die Temperaturen in diesen Gegenden über einen längeren Zeitraum hinweg gemessen zu haben. In der Schweiz wurden hierfür Temperaturaufzeichnungen von 1755-2005 herangezogen. Einen Teil davon (1928-1979) verwendeten die Autoren der Studie zum kalibrieren/trainieren des statistischen Modells, und den anderen Teil zum überprüfen (1980-2005). Beides mit demselben Zeitraum zu machen ist keine so gute Idee – natürlich würde man da sonst immer eine hohe Übereinstimmung feststellen.
Und zu guter letzt sollte natürlich ein statistisches Modell vorliegen. Im Fall der Analsye der Schweizer Weinerntedaten verwendeten diese eine lineare Regression. Sie nahmen also einen linearen Zusammenhang zwischen Erntetag und mittlerer April-August Temperatur an. Im Endeffekt trägt man anschaulich zB. In einem Diagramm wo die x-Achse dem Erntetag entspricht, und die y-Achse der gemessenen Temperatur, alle Datenpunkte zwischen 1928-1979 ein.
Grobe Skizze des Vorgehens – gesucht wird eine lineare Funktion (grüne Strecke) deren Abstand zu allen Datenpunkten möglichst gering ist. Diesmal als Handskizze weil aufgrund von Dienstreisen kein Computer zur Verfügung steht.
Dann sucht man mit mathematische Methoden diejenige lineare Funktion, welche in Summe den kleinsten Abstand zu all den eingetragenen Punkten hat. Im Artikel über das Fitten von Datensätzen haben wir darüber bereits ausführlicher gesprochen.
Man erhält also eine Funktion welche jedem Erntetag eine Temperatur zuordnet – voilá!
Die Ergebnisse
Zunächst müssen wir uns mit der Bedeutung eines Begriffs beschäftigen. In der Klimaforschung spricht man oft von der sogenannten Temperaturanomalie. Darunter versteht man die Abweichung der betrachteten Temperatur von der mittleren Temperatur in einem genau festgelegten Zeitraum. Dies lässt bessere Aussagen über klimatische Veränderungen zu – die mittlere Temperatur eines Jahres kann ja durch verschiedene Effekte (z.B. Vulkanausbrüche) schwanken. Über längere Zeiträume betrachtet, zB. 30 Jahre, spielen viele dieser Einflüsse jedoch keine signifikante Rolle mehr. Diese Methodik ist also eine Möglichkeit, Änderungen des Klimas feststellen zu können, und ausschließen zu können, dass bestimmte einmalige Ereignisse oder bekannte zyklische Variationen (zB. El Nino) die Auslöser sind.
In der folgenden Grafik stellen die Forscher also die Abweichung der rekonstruierten Temperaturen von der mittleren April-August Temperatur in den Jahren 1961-1990 dar.
Die dünne schwarze Linie sind hierbei die jährlichen April-August Temperatur Anomalien, die dicke schwarze ist gefiltert um die Temperaturentwicklung über Jahrzehnte besser studieren zu können. Die beiden dicken dunkelblauen Linien geben den Fehler an, der sich aus dem verwendeten statistischen Verfahren ergibt. Zuletzt bleibt noch die dicke gelbe Linie – dies sind die seit etwa 1755 in Basel und Genf gemessenen April-August Temperaturen (genauer gesagt der Mittelwert von beiden Städten).
Sieht ja ganz gut aus wenn man die dicke goldene und schwarze Kurve vergleicht! In den Daten scheinen sich auch Vulkanausbrüche wiederzuspiegeln – diese führen in den darauffolgenden Jahren zu kühlerem Klima und somit späteren Erntetagen. Nach Vergleich mit einer Studie von Fischer et al. (2008), die konkrete Jahreszahlen für Ausbrüche liefert, lassen sich – soweit obige Grafik dies genauigkeitstechnisch zulässt – tatsächlich einige der negativen Spitzen damit in Einklang bringen. Also zum Beispiel die Ausbrüche 1642, 1674 und 1822/1831. Leider gehen Meier et al. nicht selbst genauer darauf ein, aber grundsätzlich scheinen sich diese Eruptionen in den Ergebnissen wiederzufinden, faszinierend. Auch ersichtlich ist, dass nach diesen Ausreißern nach unten die gefilterte Temperaturkurve sich wieder relativ schnell auf den Wert davor einpendelt. Ein Indiz dafür, dass Vulkane das Klima nur sehr kurzfristig beeinflussen.
Auch wird diskutiert, dass nicht jede kleine Schwankung des Erntetages auf klimatische Veränderungen rückführbar ist. In manchen Fällen gibt es lokale Traditionen die diese auf einen bestimmten Wochentag festschreiben, in anderen können Kriege dazu führen, dass eine Ernte verfrüht durchgeführt wird um deren eventuellen Zerstörung vorzubeugen oder weil die Anbauenden sich als Söldner verdingten. Auch Anbaustrategien der damaligen Weinbauern schlagen sich nieder.
Speziell vor dem 17 Jahrhundert wurde versucht das Risiko so gering wie möglich zu halten. Aus diesem Grund wurden verschiedene Weinsorten angebaut – eine Mischung aus früher und später reifenden. So konnte man sicher gehen, auch in schlechten Jahren zumindest eine kleine Ernte einzufahren.
All dies sind Dinge, die sich jedoch aufgrund historischer Aufzeichnungen zumindest grob festmachen lassen, und insgesamt scheinen solcherart Temperaturrekonstruktionen sehr gute Methoden zu sein, um sich einen Überblick über das vergangene Klima einer Region verschaffen zu können. Nicht zuletzt haben die Autoren auch noch ihre Temperaturzeitserie mit der anderer Studien verglichen und festgestellt, dass diese sehr ähnliche Verläufe zeigen.
Apropos Klima – die frühest dokumentierte Weinernte fand im Jahr 2003 statt, und zwar am 8. September (zw. 1961-1990 war dies im Mittel der 12. Oktober). Sehen wir uns nochmal obige Grafik an finden wir hier tatsächlich ein Indiz dafür, dass sich das regionale Klima in der Schweiz verändert hat – es ist wärmer geworden.
Literatur
Meier et al. (2007) – Grape harvest dates as a proxy for Swiss April to August temperature
reconstructions back to AD 1480, Geophysical Research Letters, Vol. 34.
Schleip et al. (2008) – Time series modeling and central European temperature impact
assessment of phenological records over the last 250 years, Journal of geophysical Research, Vol 113.
Fischer et al. (2007) European climate response to tropical volcanic eruptions over the last
half millennium, Geophysical Research Letters, Vol. 34.
„Über längere Zeiträume betrachtet, zB. 30 Jahre, spielen viele dieser Einflüsse jedoch keine signifikante Rolle mehr. Diese Methodik ist also eine Möglichkeit, Änderungen des Klimas feststellen zu können, und ausschließen zu können, dass bestimmte einmalige Ereignisse oder bekannte zyklische Variationen (zB. El Nino) die Auslöser sind.“
Zyklische Vorgänge mit Periodendauer >30 Jahre fallen dabei aber unter den Tisch? Seit einigen Jahren sind ozeanische periodische Schwankungen nachgewiesen (etwa T~60a?)
Unter den Tisch fallen würde ich jetzt nicht sagen, im Gegenteil eher. Über 30 Jahre mitteln führt dazu, dass der Einfluss einer 60 jährigen Oszillation eben nicht rausgemittelt wird.